Auszug aus der YachtRevue 01/1991. Herzlichen Dank an die Redaktion der YachtRevue
Die erste Runde im Kampf mit den Elementen brachte zwei Abenteurer aus Linz an den Rand einer Niederlage. An Aufgabe dachten Sie aber keinen Augenblick
Vorwort Yachtrevue 01/1991:
Die rasante Aufwärtsentwicklung des Charterwesens hat in den letzten Jahren die endgültige Wandlung des elitären Yachting zum Sport für jedermann bewirkt. Der Törn auf der Yacht ist für viele Österreicher zur normalen Urlaubsvariante geworden, was für viele — die Yachrevue eingeschlossen — erfreulich ist. Es gibt aber auch kritische Töne dazu, die vorwiegend das Verhalten dieser neuen Generation von Fahrtenseglern betreffen. Vor allem das goldene Wienerherz hält sich beispielsweise recht wenig an die Yachtetikette, und Sie dürfen ruhig darunter auch das verstehen, was Sie sich jetzt wahrscheinlich denken. Natürlich ist dieser Vorwurf nicht auf die Wiener beschränkt, und wenn die Fahrtensegler in einer der letzten Ausgaben gelobt wurden, dann dürfen sie diesmal Schelte einstecken. Für Näheres ist in den nächsten Ausgaben Platz reserviert.
Etikette ist allerdings nicht das einzige, was bei dieser Entwicklung auf der Strecke bleibt, denn mit Sport hat es beispielsweise wenig zu tun, wenn man unter Motor oder schnell ausgerollter Genua von Marina zu Marina oder Restaurant zu Restaurant gondelt und sich dabei besonders toll fühlt. Das „elitäre Yachting“ auf Binnenseen harte da Weit mehr zu bieten.
Dass es auch ganz anders geht, bewiesen zwei Lichter Studenten, die mit ihrer Aquila, einer sechs Meter langen Jolle, von Linz nach Triest fuhren – über die Donau, das Schwarze Meer, Ägäis und Adria. Eine ganz erstaunliche Leistung, und wenn man liest, dass die beiden in der Ägäis einen
65-Meilen-Schlag in der Nacht absolvierten (mit gehisster Petroleumlampe), dann wundert man sich schon, dass die beiden auf den 2.500 Meilen in keine lebensbedrohende Situation gekommen sind. Offensichtlich haben die beiden die Grenze zwischen Mut und Wahnsinn sehr gut im Griff, was man von manchen Fahrtenseglern nicht behaupten kann.
Eine Reise von Linz nach Triest – 2. TEIL
Auf der Suche nach dem großen Abenteuer fassten Gerhard Kittinger und Anton Lorenz im Frühjahr 1990 den Entschluss, mit einer 6,30 m langen Jolle von Linz nach Triest zu segeln. Kollegen, befreundete Segler und Angehörige hielten die Idee vorerst für einen Scherz; dem war nicht so.
Kittinger verstärkte sämtliche Beschläge der Jolle, Lorenz zeichnete für die Ausrüstung verantwortlich, und als die Aquila namens Wastl voll beladen im Winterhafen Linz zur Abfahrt bereit lag, sah sie ziemlich abg’soffen aus. Dieser Anblick verschreckte sogar die größten Optimisten, sodass nicht einmal sie damit rechneten, dass die Studenten das rund 2000 Kilometer entfernte Schwarze Meer erreichen würden. Von Triest als Endhafen sprach zu diesem Zeitpunkt niemand mehr – mit Ausnahme von Kittinger und Lorenz.
In der letzten Ausgabe berichteten die Abenteurer von ihrer ersten Etappe, der Fahrt von Linz die Donau flussabwärts bis ans Schwarze Meer. Sie segelten, wo immer es ging, fuhren unter Motor, wo es nötig war, und waren ständig nass. Dafür sorgten – neben tagelangem Regen – Unmengen von Spritzwasser, die über den niederen Freibord der tiefliegenden Aquila ins Cockpit strömten. Ihr Wunsch, dass die überladene Jolle im Schwarzen Meer wieder selbstlenzend sein sollte, ist aus dieser Situation heraus leicht zu verstehen.
Die bürokratischen Hürden meisterten Kittinger und Lorenz ebenso problemlos wie die Schleusen in Djerdap, und nach nur 16 Tagen erreichten sie den Schwarzmeerhafen Constantia. Nun konnte das große Abenteuer beginnen, die Fahrt durchs Schwarze Meer, Marmara Meer, die Ägäis und last but not least durch die Adria nach Triest.
Gerhard Kittinger und Anton Lorenz erzählen in der zweiten Folge über ihre Fahrt von Constantia nach Limnos in Griechenland.
Das rege, leicht hektische Treiben im Hafen von Constantia übertrug sich auf uns. Wastl lag zum Auslaufen bereit an der Mole, doch jetzt, als es hieß, in offene See zu stechen, wurde uns klar, warum uns befreundete Segler für verrückt hielten. Obwohl wir einige Wasserkanister geleert und Teile des Proviants verbraucht hatten, war der Freibord nur unwesentlich höher als bei der Abfahrt in Linz. Die Erfahrung der letzten 2000 Kilometer lehrte, dass er zu nieder war. Wie würde sich Wastl bei höheren Wellen verhalten? So lautete die Frage. die sich jeder von uns insgeheim stellte.
Wir tuckerten mit einem flauen Gefühl im Magen langsam aus dem Hafenbecken. verzichteten auf einen Lotsen und bahnten uns den Weg ins weite Meer. Die Aussicht auf faszinierende Naturerlebnisse ließ uns innerlich ruhiger werden. Wir dachten noch einmal an die Tage auf der Donau, waren aber froh, diesen Abschnitt der Reise hinter uns zu haben. Der träge, schlammfarbene Fluss hatte sehr aufs Gemüt gedrückt.
Eine frische Brise, gepaart mit etwas Spritzwasser riss uns aus den Gedanken, wir segelten konzentrierter und hielten zur Küste einen Abstand von ca. zwei Meilen. Bislang war nichts Sehenswertes zu entdecken. Die Küste schleppte sich flach dahin, Buchten gab es keine. Nur die aus dem Boden gestampften Badezentren boten ein wenig Abwechslung, wenn auch im negativen Sinn. Das einzig Schöne an diesen Erholungsdörfern waren ihre klassischen Namen wie Neptun, Saturn, Jupiter. Venus etc.
Der Wind blies mit drei Beaufort aus Nordost, während wir nach unseren Badehosen suchten. Wir spürten die Wärme der Sonne, und das Meerwasser hinterließ Salzkrusten auf der Haut, Genauso stellten wir uns Badesegeln vor, aber das war nicht unsere Absicht. Wir suchten das Abenteuer, und uns beschäftigte die Frage, ob wir es überhaupt erleben würden.
Unbewusst wurden die Segel dichter geholt, ohne den Kurs zu ändern. Der Griff nach den Schoten wiederholte sich noch einmal. Erst jetzt nahmen wir die Winddrehung auf Südost wahr. Wastl lief bereits hart am Wind. Es war nun unmöglich, den bisherigen Kurs — parallel zur Küste — zu halten.
Der Wind begann in den Wanten zu pfeifen, rasch baute sich eine kurze, extrem steile Welle auf. Ehe man sich versah, rauschten die ersten Brecher über das Vordeck und zwangen uns ins Ölzeug. Neptun schien es nicht gut mit uns zu meinen. Jede zweite Welle schickte er krachend ins Cockpit. Wastl machte kaum noch Fahrt, stampfte sich endgültig fest. Die Aquila glich zu diesem Zeitpunkt einer Badewanne. Es grenzte an ein Wunder, dass sie überhaupt noch schwamm. Wir gingen auf einen raumeren Kurs, doch das überladene, bis zur Halskrause mit Wasser gefüllte Boot war kaum mehr beherrschbar. Plötzlich saßen wir im weißen Schaum eines gewaltigen Brechers. Wir verspürten keine Angst, sondern waren fasziniert von dem wunderbaren Naturschauspiel. Die Vernunft siegte, überwand diesen tranceartigen Zustand. In ärgster Bedrängnis starteten wir den Motor, rissen die Segel herunter und kämpften in leicht schrägem Winkel brutal gegen die Wellen.
Der Druck am Ruder verstärkte sich durch die starken Rollbewegungen. Zeitweise bedurfte es der Kraft beider Hände, um ausreichend Gegenruder geben zu können. Da wich abrupt sämtliche Belastung von der Pinne. Die schreckliche Ahnung bestätigte ein Blick zurück. Das Ruderblatt hing nur noch gefälligkeitshalber in seiner Halterung und pendelte bei jeder Bewegung des Schiffes hin und her. Wir hievten es schnell an Bord. mährend der Außenborder die Funktion des Steuers übernahm.
Wastl benahm sich nun wie ein wildes Pferd, das es zu bereiten galt. Wir fühlten uns wie Rodeo-Cowboys, die nicht abgeworfen werden wollten. Dermaßen durchgebeutelt, studierten wir den nassen Fetzen von Seekarte und entschieden, Rumänien anzulaufen. Wir erreichten es nach hartem Kampf mit den Elementen erschöpft, aber glücklich.
Den Zoll umgingen wir elegant durch Nichtbeachtung und wandten uns mit der Frage nach einer Werkstätte unverzüglich an den Kapitän eines benachbarten Arbeitsschiffes. Seine vernichtende Antwort — Repariermöglichkeilen gibt es hier nicht – raubte uns den letzten Funken Zuversicht. Zu allem Überdruss standen wir unter Zeitdruck, denn in drei Tagen sollte Lisa in Istanbul vom Flughafen abgeholt werden. Das wäre auch mit intaktem Ruder kaum zu schaffen gewesen, und unter diesen Umständen schien es unmöglich.
Die nächste Hafenkneipe sollte helfen, die niederschmetternden Erkenntnisse der vergangenen Stunden zu verarbeiten. Wir kamen mit verschiedenen Leuten ins Plaudern, berichteten von der Fahrt mit Wastl und von unserem defekten Ruder. Plötzlich zogen uns zwei starke Arme beiseite. Der dazugehörige Mann — ein Besatzungsmitglied des türkischen Frachters Turanlar 1 — zeigte sich von unserer Reise fasziniert und unterbreitete einen geradezu sensationellen Vorschlag. Er meinte, man müsste seinen Kapitän fragen, ob er die Nussschale (plus Crew, als Decksfracht nach Istanbul mitnehmen würde. Seiner Meinung nach wäre das kein Problem.
Am nächsten Morgen standen wir voll neuer Hoffnung vor Turanlar 1 und warteten auf den Kapitän. Dieser empfing uns nach längerer Wartezeit und berichtete freimütig vom abendlichen Saufgelage mit dem rumänischen Zoll. Er meinte, dass er die Besäufnisse zwar hasse, aber sie wären die einzige Möglichkeit, die Zollabfertigung zügiger zu gestalten. Nach den interessanten Ausführungen über rumänische Zollpraktiken trugen wir unser Anliegen vor. Der Kapitän zeigte sich sehr hilfsbereit, alles verlief so, wie wir es uns einen Tag zuvor in weinseliger Stimmung ausgemalt hatten. Die vorsichtige Frage, ob wir uns die Überfahrt finanziell leisten könnten, wischte der grauhaarige Türke mit einer lässigen Handbewegung vom Tisch. Sie gab uns eindeutig zu verstehen, daß der Transport selbstverständlich gratis wäre. Darüber hinaus vermittelte er uns für den Umgang mit den Behörden noch seinen Agenten, der sich im kurzen Gespräch als echter Segelfreak entpuppte. Er erledigte die Zollformalitäten der „Zusatz-Fracht“ von Tutender I. Als wir ihn für seine Dienste entlohnen wollten, lehnte er mit den Worten — lt’s a pleasure, sir, indeed — dankend ab.
Um 18 Uhr war alles zum Aufladen bereit. Wir legten den Mast, die Verlademannschaft fackelte nicht lange, und nach zehn Minuten lag Wastl fein säuberlich verschnürt an Deck. Am Morgen kam ein Zöllner an Bord und kassierte eine Fantasiegebühr von 40 Dollar. Als der Frachter aus dem Hafen von Mangalia fuhr, waren nicht nur wir froh, Rumänien verlassen zu haben.
Die Huckepack-Fahrt nach Istanbul dauerte 24 Stunden. Sie sollte sich zum gemütlichsten Teil der ganzen Reise entwickeln. Man teilte uns eigene Kojen zu, verwöhnte uns mit gutem Essen, und der Kapitän gestattete uns, das Radargerät, den Funk- sowie Kartenraum jederzeit zu benutzen. Wir begnügten uns mit der Beobachterrolle, standen mal da, dann wieder da im Weg herum. Was wir auch taten, wir ernteten immer ein Lächeln oder ein paar freundliche Worte. Am späten Nachmittag warteten wir Wastl’s 6PS Murl, kontrollierten Beschläge, Wanten und Fallen. Dabei brachte man uns alle 15 Minuten Tee und erkundigte sich nach eventuellen Wünschen.
Die Einfahrt in den Bosporus erlebten wir um Mitternacht von der Brücke aus. Überwältigt beobachteten wir, wie Turaniar 1 in das Lichtermeer eintauchte, dabei selbst Bestandteil dieser faszinierenden Kulisse wurde. Man konnte in diesem beeindruckenden Lichterspiel keine Leuchtfeuer wahrnehmen. Trotzdem manövrierte der Kapitän den Frachter scheinbar mühelos durch den regen Verkehr, Er orientierte sich am Radarschirm, die notwendigen Ausweichmanöver besprach er über UKW.
Um 2 Uhr ging Turaniar 1 im Bosporus vor Anker. Die Gesundheitskontrolle kam an Bord und stellte die entsprechenden Dokumente – auch für Wastl – aus. Wenig später erschien die Küstenpolizei. In Österreich hatte man uns versichert, dass man überall an der türkischen Grenze für 10 Dollar ein Einreisevisum erhalten würde. Deshalb wandten wir uns mit der Bitte um zwei Visa an den Beamten, der uns augenblicklich wegen illegaler Einreise verhaften wollte. Wir verdankten es nur der Menschenkenntnis sowie dem taktischen Geschick unseres Kapitäns, dass wir nicht in den Knast wanderten. Er stimmte den Beamten mit einigen sachlichen Argumenten wie einer Stange Zigaretten, einer Flasche Whisky und ein paar Drinks um. Dieser verließ daraufhin zufrieden das Schiff und machte sich auf zum nächsten Frachter…
Wir saßen bis zum Morgengrauen an Deck, ließen die imponierende Stimmung des Bosporus auf uns einwirken. Die dramatischen Augenblicke der letzten Stunde beschäftigten uns die ganze Nacht, an Schlaf war nicht zu denken. Am frühen Morgen lichteten wir die Anker und setzten die Fahrt durch den wunderschönen Bosporus fort.
Da geschah etwas Einmaliges.
500 Meter vor der Marina Atake hielt der Frachter plötzlich an. Der Kapitän deutete in Richtung Marina und erklärte: Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Hier vorne könnt ihr das Ruder reparieren. Viel Glück auf eurer langen Reise!
Wastl schwamm in weniger als fünf Minuten neben Turanlar 1. Wir verabschiedeten uns von der Crew, gingen an Bord und liefen erleichtert in der Marina Atake ein. Diese eingezäunte, bewachte Oase der Zivilisation bot all das, dem Menschen unseres Schlages gerne entfliehen, aber das Ruderproblem und eine Frau zwangen uns zum kurzen Stopp an dieser Stelle.
Das Gefühl, illegal in der Türkei zu sein, war beunruhigend. Wir wandten uns telefonisch an die österreichische Auslandsvertretung, in der Hoffnung, dass sie uns weiterhelfen könnte. Dort erfuhren wir nichts Neues. Dass wir das Visum beim Ausklarieren beantragen müssten, wussten wir ohnehin. Da dieses Problem vorerst nicht zu lösen war, widmeten wir unsere ganze Kraft der Reparatur des Ruders. Der kurze Ausflug im Schwarzen Meer hatte die möglichen Belastungen eindrucksvoll aufgezeigt, umso besser wollten wir für die Fahrt im Meltemi gerüstet sein.
Anschließend wurde Lisa (Antons Freundin) vom Flughafen abgeholt. Sie sollte uns die nächsten Tage begleiten. Wir hofften, mit ihr auch ein wenig Glück an Bord zu nehmen. Das schien tatsächlich der Fall zu sein, denn am nächsten Morgen liefen wir mit einer sanften Brise im Rücken aus. Wastl schleppte sich mit drei Mann Besatzung etwas behäbiger durch die Fluten. Der immer stärker werdende Meltemi veränderte die Situation innerhalb der nächsten Stunde aber schlagartig.
Das Groß wurde gerefft. die Genua durch die Sturmfock ersetzt. Trotzdem ließ der Meltemi Wastl jede Welle hinabsurfen. Böen versetzten uns in Gleitfahrt, sorgten für echtes Motorbootfeeling; einzig das Brummen der Maschinen fehlte — Gott sei Dank. Angesichts dieser Bedingungen verwarfen wir den Plan, das Marmara Meer direkt zu queren, sondern blieben vorerst auf der europäischen Seite unter Land.
Das Steuern war Wahnsinn. Böen, die uns in der Surfpassage erwischten, musste man vorausahnen und rechtzeitig Gegenruder geben. Ohne diese Maßnahme machte die enorme Krängung die Aquila extrem luvgierig. Das Heck schien seitwärts wegzudriften und Wastl über den eigenen Kiel zu stolpern. Die Pinne war bei Gegenruder-Manövern nur mit beiden Händen zu bändigen, nur so konnte das Querschlagen verhindert werden. Es galt, immer den geeigneten Moment abzuwarten, dann ordentlich abzufallen — aber nicht zu früh. Plötzlich knallte der Großbaum über Lisas Kopf hinweg. Wastl lief aus dem Ruder, bohrte sich in die nächste Welle, und das Cockpit war wieder einmal voll. Wir gingen erneut auf Kurs, bis ein bekanntes Gefühl Katastrophales erahnen ließ. Das Ruder hatte sich abermals verabschiedet.
Routinierter, weniger hektisch als im Schwarzen Meer, starteten wir den Motor. Die Segel wurden geborgen, und wir machten etwas frustriert den Abgang zur Steganlage beim Leuchtfeuer Büyiik Cekmece. Man empfing uns in der kleinen Siedlung mit der gewohnt türkischen Gastfreundschaft. Wir erläuterten einigen Bewohnern unser Problem, worauf man uns sofort zu einer Werft brachte. Diese war zwar geschlossen, aber die freundlichen Türken wussten sich zu helfen. Schnell holte man einen Werftarbeiter vom Strand, der sich freundlich lächelnd über das defekte Ruder machte. Ein stimmungsvolles Abendessen am Strand rundete den doch noch erfolgreichen Tag ab.
Wir verbrachten die Nacht am kleinen Privatsteg. Wastl, mit der wir noch über tausend Meilen zurücklegen sollten, lag längsseits am Steg. Das Licht der Sterne gab dem kleinen Boot etwas Majestätisches. Die Schönheit der Nacht zog uns in ihren Bann, wir starrten auf die Weite des Meeres, sprachen kaum, und schöpften aus dieser Ruhe Kraft für den nächsten Tag.
Am nächsten Morgen weckte uns Lisa. Der Meltemi begrüßte uns bereits mit der Stärke des Vortages. Wir verpackten unser Hab und Gut möglichst wasserdicht, denn bei 6 Beaufort blieb auf Wastl kein Auge trocken. Die Segel — genau genommen die Sturmfock — wurden gesetzt, und ab ging’s im Surf. Es war schon toll, wie Wastl mit dem Minisegel die Wellen hinab ins Gleiten kam, im Wellental gebremst wurde und sich rund um uns weiße Gischt aufbaute. Am Schiff herrschte Hochstimmung. Wir waren glücklich, eine so atemberaubende Fahrt erleben zu dürfen.
In diesem Stil ging es bis Marmara auf der gleichnamigen Insel im gleichnamigen Meer, wo wir uns mit Proviant eindeckten. Wir genossen den Einkaufsbummel, liefen aber sogleich wieder aus. Nach den vielen Stunden am Boot wollten wir uns in einer Bucht erholen, ein wenig baden und tauchen. Letzteres zahlte sich aus, wir fanden Muscheln in Hülle und Fülle – darunter acht Austern. Jeder freute sich auf das abendliche Festessen. das zu einem Muschelexzess ausartete. Wir saßen noch in den Frühen Morgenstunden beisammen, waren uns aber einer Sache einig. Obwohl die Meeresfrüchte hervorragend mundeten, beschlossen wir, während der nächsten Tage auf Muscheln zu verzichten.
Der enge Terminplan zwang uns, zeitig aufzustehen, um nach Canacale in den Dardanellen zu segeln. Aolus war uns nicht gut gesonnen. Wir erreichten gerade vier Knoten, und das war entschieden zu wenig. So legten wir die 45 Meilen nach Canacale unter Motor zurück. Die Strömung in den Dardanellen half kräftig mit, sodass Wastl mit der Abenddämmerung ziemlich abgeschlafft und durchgerüttelt im Hafen einfuhr. Uns erging es nicht anders, hinzu kam noch das ungute Gefühl, illegal im Land zu sein. Gleichzeitig Ein-und Ausklarieren sowie ein Visa beantragen, war zu abenteuerlich. deshalb bemühten wir uns um professionelle Hilfe. Wir riefen über Kanal 16 auf UKW die „fourtyfour agency“ und vereinbarten mit dem zuständigen Agenten einen Termin.
Gemeinsam brachen wir zum härtesten Behördentag unseres Lebens auf. Der Hürdenlauf umfasste fünf Stationen – Passamt, Polizei, Zoll, Gesundheitsamt, Hafenkapitän – die mehrere Male bewältigt werden mussten. Der Agent entschuldigte sich für die geschmalzenen Preise, aber was nützte es. Das Banknotenbündel in seiner Rechten schrumpfte bei jeder Station mehrmals (3 bis 4 korrupte Beamte), während sich in seiner Linken ein Papierstoß mit zahllosen Stempeln häufte. Neun Stunden liefen wir in der unerträglichen Hitze von Amt zu Amt. Wir fragten uns bereits, wie der Agent diesen mörderischen Job auf Dauer aushalten konnte, erhielten aber die Antwort mit der Rechnung präsentiert. Sie setzte sich aus 100 Dollar Agenturkosten plus 180 Dollar an Bestechungsgeldern zusammen. Dieser 280-Dollar-Hindernislauf hatte natürlich auf unsere Lebensqualität weitreichende Auswirkungen. Eine davon war, dass das im Restaurant geplante Abendessen an Bord stattfand.
Lisa musste am nächsten Morgen in Myrina sein, der größten Ortschaft auf der griechischen Insel Limnos, um einen Anschluss nach Athen zu erreichen. Wir legten noch kauend und schmatzend ab, denn für 65 Meilen brauchten wir mindestens 12 Stunden. Der Wind blieb aus, da gab es kein Zaudern. Wir starteten den Motor, hissten die Petroleumlampe und stachen in See, bereit, 12 Stunden aufreibenden Motorenlärm zu ertragen. Alles verlief wunschgemäß. Wir ließen gegen Mitternacht das Leuchtfeuer Tavsan Adasi backbord liegen und nahmen Kurs auf Kap Eirini, den südöstlichen Zipfel von Limnos. Plötzlich zogen dunkle Wolken auf, und um uns wurde es stockdunkel. Wir wussten, dass uns die starke Strömung dieser Gegend mehrere Meilen versetzen würde, aber das Wissen um diese Tatsache nützte nichts. Von unserer Position hatten wir nur mehr eine ungefähre Ahnung, außerdem gab es laut Karte auf Kap Eirini kein Leuchtfeuer. Wastl pflügte einsam durch die dunkle See. Die Stimmung an Bord schwankte zwischen Bangen und Hoffen. Die Angst vor Untiefen sowie die Angst, vom Kurs abgekommen zu sein, ließen Stunden zur Ewigkeit werden.
Im Morgengrauen riss uns Lisas helle Stimme mit einer Frohbotschaft aus der nächtlichen Lethargie. Land in Sicht! Sie, die die überwiegende Nacht geschlafen hatte, nahm als erste die verschwommenen Konturen von Limnos wahr. Die Befürchtung, — was wäre, wenn wir Limnos nicht finden würden — die uns während der letzten Stunden gequält hatte, wich aus unserer Brust. An ihre Stelle traten Freude und Dankbarkeit. Erleichtert manövrierten wir Wastl in den Hafen von Limnos Myrina. Jedermann schien uns gut gesonnen zu sein. Das Einklarieren ging nach einem Hinweis auf die türkische Bürokratie sehr flott. „Sie werden sehen – zehn Minuten.“ Tatsächlich dauerte es nicht einmal so lange, was wir wiederum als Beweis ansahen, dass das gespannte Verhältnis zwischen Griechen und Türken auch seine guten Seiten hat.
IN DER NÄCHSTEN FOLGE:
Mit dem Meltemi durch die nördlichen Sporaden, den Golf von Korinth nach Korfu, nach Italien (Brindisi) über die Adria nach Dubrovnik und schließlich nach Triest
Link: „Grenzgänger“ – Teil 1